18. März – Obdachlos in Kingston und andere Aufregungen
Guten Morgen, Kingston! Nach dieser “Wahnsinns-Nacht” kann der Morgen eigentlich nur besser werden … doch: Typischer Fall von “Denkste!”! Per Telefon kommt die Hiobsbotschaft, dass wir die bereits im September!!! gebuchte Unterkunft heute doch nicht beziehen können. Ich bin ziemlich sauer, denn man will uns in die Schuhe schieben, keine Vorauszahlung geleistet zu haben. Dabei waren wir es, die die Betreiber der Unterkunft zuerst deswegen kontaktiert haben.
“Excuse me. You loose your temper!” reklamierte die Männerstimme am anderen Ende der Leitung meinen aufgebrachten Tonfall. Na klar bin ich “very upset”, denn: “Wir haben uns darauf verlassen, dass die Buchung steht, zumal gestern nichts anderes gesagt wurde. Wir haben um 10 eine Tour gebucht und können jetzt keine Zeit darauf verschwenden, noch Unterkünfte abzuchecken!” Ich reiche Lars das Telefon weiter. Er bleibt ruhig, aber mehr als dass heute kein Zimmer mehr frei wird, erfährt er auch nicht. Zitternd vor Verärgerung stosse ich auch noch die letzte Tasse Instant-Kaffee um, wo wir Koffein doch heute noch nötiger haben, als sonst.
Wenn dir das Leben Zitronen gibt … wird manchmal Limonade draus
Uns bleibt nichts weiter übrig, als uns auf der Umgebungskarte nach einer neuen Unterkunft umzusehen. Gut, dass wir eigenes Datenvolumen haben, das hosteleigene WLAN kommt nicht in alle Ecken. Das inklusive Frühstück im Labrish startet erst um 10 – solange können wir nicht warten. Mit zwei Adressen im Gepäck fahren wir los.
Gleich bei der ersten Adresse, dem Kingston Home, werden wir freundlich empfangen: “Yah man, welcome!” entgegnet der Housekeeper – welcher sich als “Delly” vorstellt – auf unseren Gruss und unsere Frage nach einem freien Zimmer. Er präsentiert uns ein Zimmer mit Doppelbett – einfach eingerichtet, aber sauber – und Ventilator. Das dazugehörige Bad ist eine Tür weiter. Wir wollen das Zimmer. Wir sollen nur schnell der Richtigkeit wegen über die Buchungsplattform buchen. Das machen wir, zeigen Delly die Bestätigung und fahren gleich weiter zum nächsten Geldautomaten. Wir brauchen noch dringend Bargeld, bevor wir uns auf Tour durch Kingston begeben.
Musikalisch unterwegs in Kingston
Wir treffen die zierliche Karen am Art House Parklands South, wo wir eigentlich die Unterkunft gebucht hatten. Den Treffpunkt zu verlegen, wäre zu umständlich gewesen. Herzlich begrüsst uns die in Trinidad-Tobago geborene Tochter jamaikanischer Eltern und wir erzählen ihr kurz, warum wir unser Auto dort nicht stehenlassen wollen. Also fahren wir zusammen nochmal zum Kingston Home, von wo aus nun endlich unsere Music-Tour starten kann.
Karen stellt sich vor und erklärt uns den ungefähren Ablaufplan, während sie uns routiniert durch das montagsgeschäftige Kingston schlängelt. Es war im Vorfeld nicht leicht für sie, eine Tour zusammenzustellen, denn die üblichen musikalisch-touristischen Highlights in Kingston kennen wir bereits. Karen aber wartet gleich zu Anfang mit einer Überraschung auf: Wir können tatsächlich ins Wailers’ Museum. In ihrem ursprünglichen Programm war dieser noch recht unkommerzialisierte Ort nicht vorgesehen. Trotzdem hat sie alle Hebel gezogen, um uns diesen ungewöhnlichen Wunsch zu erfüllen.
Die Wailers – eine Familiengeschichte ODER Wie trifft man eine Legende?
In einer Seitenstrasse vor einem mit Rastamotiven auffällig gestalteten Tor lässt Karen uns aussteigen. Hier lebt auch heute noch das letzte verbliebene Gründungsmitglied der legendären Wailers.* Im Wohnhaus von Neville O’Riley Livingston aka Bunny Wailer, ist eine einmalige, sehr persönliche und lebendige Ausstellung gelungen, die die Familiengeschichte der Livingstons/ Marleys mit der Bandgeschichte der Wailers und dem Lebenswerk Bunny Wailers verknüpft: Das Wailers’ Museum in Kingston. Maxine Stowe – seine Managerin – führt uns, allerhand Interessantes erzählend und erklärend durch das einstöckige Haus. Das rundet unser Bild über die Wailers ab, welches wir an verschiedenen Bob-Marley- oder Peter-Tosh-Plätzen auf Jamaika teilweise anders vermittelt bekamen. [*Bunny Wailer verstarb leider mittlerweile im März 2021]
Wir lassen noch ein wenig die Eindrücke sacken und machen gerade im Hof ein paar Fotos, als Maxine uns überrascht: “So und jetzt kommen wir zum Höhepunkt eurer Tour im Wailers’ Museum. Sagt ‘Hallo’ zu Mister Bunny Wailer!” … Da sitzt er auf dem Verandasofa, die letzte lebende Wailers-Legende. Obwohl man ihm schon das Alter und einen kürzlich erlittenen Schlaganfall ansieht, umweht ihn immer noch sein spezielles Charisma. Wir geben ihm die Hand und kriegen ausser einer respektvollen Begrüssung und einem Kompliment für die gelungene Ausstellung kaum ein Wort über die Lippen. Sicher wundern sich alle, dass wir nicht mit ihm für ein Foto posieren wollen, aber unser Respekt ist einfach zu gross, um auf so profane Ideen zu kommen.
Kingston – prallvoll mit Musik
Mit unseren Eindrücken und dem Bild Bunny Wailers auf dem Sofa im Kopf fährt uns Karen nun zum National Museum of Jamaica, wo es eine spezielle Musik-Abteilung gibt, die zwar nicht besonders gross, aber anschauenswert ist. Ein Mueumsangestellter erklärt anhand der ausgestellten Instrumente die Musikgeschichte Jamaikas. Zu sehen sind ausserdem auch einige Exponate, die einmal jamaikanische Musikgrössen gespielt haben.
Vom National Museum gehts weiter zum Alpha Boys Institute, wo wir nur den Gift-Shop besuchen können. Geführte Touren finden nur Freitags statt, da sind wir leider nicht mehr in Kingston … Einen kleinen Abriss über die Geschichte und die Mission des Alpha Boys Institutes gibt uns Karen.
Bereits 1880 gründete Jessie Ripoll mit zwei Freundinnen hier ein Waisenhaus, das “Alpha Cottage”. Anfangs wurden nur Mädchen aufgenommen, was sich im Laufe der Zeit aber änderte. Der Orden der Sisters of Mercy unterstützte die Gründerinnen und die Alpha Boys School entwickelte sich zu einer “Industrial School”, wo männliche Teenager aus schwierigen sozialen Verhältnissen mit ihren vorhandenen handwerklichen oder musischen Talenten gefördert und ausgebildet wurden.
Die Alpha Boys School brachte und bringt viele bekannte Musiker Jamaikas hervor. Wer gerne mehr wissen möchte, dem sei diese interessante Zeitleiste über die Geschichte und Entwicklung des Alpha Boys Institutes ans Herz gelegt. Der Google-Übersetzer sei mit euch!
Lunchtime im Moby Dick
Inzwischen ist es Mittagszeit, Karen hat dafür das “Moby Dick” ausgesucht, welches in einschlägigen Reiseführern als Geheimtipp genannt wird. Das Moby Dick ist von aussen eher unscheinbar und von innen recht einfach. Ganz eindeutig gehören die Betreiber der Religion des Islam an, diverse Statements an den Wänden machen das deutlich. Auch die Küche und die einfach gehaltene Speisekarte richten sich nach muslimischen Ernährungsregeln: Kein Schweinefleisch, kein Alkohol.
Das Ziegencurry ist eine Spezialität des Hauses und wird mit Reis sowie Roti – einem dünnen Teigfladen – serviert. Mit dem Fladen isst Karen routiniert ihr Mittagessen, wir bekommen Besteck dazu. Lecker ist das Curry wirklich. Natürlich sind aber – wie überall – noch die Knochen drin.
Hit the street and feel the beat
Nach dem Lunch geht es weiter, wir wollen die Orange Street aka Beat Street und ihre Plattenläden besuchen. Ich hoffe, dort als Erinnerung ein Album von Desmond Decker kaufen zu können, in welches ich mich im Flugzeug verliebt habe. Doch ausser für “Rockers International Records” reicht die Zeit scheinbar nicht. Vielleicht will uns Karen auch nicht so gern “frei laufen” lassen. Im “Rockers” spielt Mitchie Williams für uns ein paar alte Platten an. Er hat auch Desmond Decker, nur wir leider keinen Plattenspieler.
Karen treibt uns ein bisschen an, sie hat mit dem Studio telefoniert, wo wir tatsächlich selbst einen Song aufnehmen sollen. Müssen wir nicht unbedingt haben, aber sie meinte, es wäre im Tourpreis mit drin. Da das Studio allerdings gerade besetzt ist und wir eh später dran, als gewollt, kommen wir um die Aufnahme herum. Leider ist es auch nicht möglich, einfach so mal einen Blick ins Studio zu werfen, Karen ist ein wenig angesäuert.
Unser Vorschlag, doch statt dessen das Devon House zu besuchen, stimmt sie milde und so finden wir uns gleich in Kingstons Rush-Hour wieder. Langweilig ist es unterwegs nicht, wir sehen viel und saugen das lebhafte Treiben in den Strassen auf. Gerade noch rechtzeitig können wir uns der letzten Tour im Devon House anschliessen, die schon begonnen hat. Die gregorianische Villa von George Stiebel, dem ersten dunkelhäutigen Millionär Jamaikas ist mit zeitgenössischen Antiquitäten eingerichtet und die Führung interessant.
Als krönenden Abschluss der Führung und unseres Tourtages gönnen wir uns eine grosse Kugel “I-Scream” aus der “besten Eisdiele der Karibik”. Karen ist schon ziemlich kaputt, lässt sich aber trotzdem nicht dazu hinreissen, unsere Einladung auf ein Eis anzunehmen. Sie besteht auch darauf, uns unbedingt noch in die Unterkunft zu fahren, obwohl es keine 10 Minuten zu Fuss sind und die Gegend nicht als unsicher eingestuft wird.
Home sweet Kingston Home
Wir lassen uns aber an einem Supermarkt absetzen, uns fehlt ja wieder dies und das und vor allem Kaffee. Also bedanken wir uns herzlich bei Karen für die Tour und verabschieden uns mit dem Versprechen, sie weiterzuempfehlen. Nach dem Einkauf laufen wir nach Hause. Delly erwartet uns schon, er möchte uns ein anderes Zimmer anbieten. Dieses hier habe eine Klimaanlage UND ein innen liegendes Bad. Das riesige Bett nimmt fast den gesamten Raum ein, rundherum ist nicht viel Platz. Doch Delly ist überzeugt, dass dieses Zimmer besser sei, also tun wir ihm den Gefallen und beziehen endgültig unser neues Quartier. In der super ausgestatteten Küche zaubere ich uns “Dutty Gyal” – ein Gericht aus der jamaikanischen Alltagsküche aus Tomatenmakrele, Zwiebeln, Tomaten und Paprika. Dazu gibt es Toast und ein Red Stripe. Es ist schwül in Kingston, wir sind müde, also ziehen wir uns gleich in unser Zimmer zurück. Die Klimaanlage ist Gold wert und das Bett im “Dornröschen-Zimmer” wirklich bequem. Draussen ist es recht ruhig. So gelingt es uns, den verlorenen Schlaf aus der letzten Nacht aufzuholen.
19. März – Another Day in Paradise
Guten Morgen, Kingston! Auf die Frage “Musste das denn jetzt unbedingt sein?” gibt es manchmal nur eine richtige Antwort: “JA!”. Die Nächte hier im privat geführten “Kingston Home” sind recht ruhig, sobald die letzten “Eintagsfliegen” eingetrudelt sind. Die Unterkunft wird gern als Zwischenübernachtung für Gäste genutzt, die eine späte Ankunft am Flughafen Kingston haben.
Dank unserer gestrigen Einkaufstour und der tollen Küche fällt das Frühstück heute wieder üppiger aus. Während ich Rührei, Toast und Früchte vorbereite, sitzt Lars mit Delly – der mit im Haus wohnt – beim Zigarettchen auf der Veranda. “Was habt ihr bloss mit eurem schönen Auto gemacht? Wo wart ihr denn???” will Delly halb entsetzt – halb interessiert wissen. Lars erzählt ihm von unserem Sandgruben-Ausflug und dass wir längst eine Waschanlage aufsuchen wollten. “Hey – das kann ich doch für euch machen!” bietet er sich sofort an und Lars ist happy. Noch während wir frühstücken, legt Delly damit los, unser Eisenpferdchen auf Hochglanz zu bringen.
Er macht grosse Augen, als plötzlich ein Privatauto mit zwei Rastas darin am Tor hupt und wir auch noch freiwillig einsteigen. Heute sind wir mit dem Team vom Life-Yard für eine “Kingston-Historical-Tour” verabredet. Nicumma aka I-kumma – mit dem ich im Vorfeld die Tourdetails per Mail abgesprochen habe – kringelt sich bald vor Lachen, als ich bei der Begrüssung nachschiebe: “Oh, ich dachte die ganze Zeit, ich schreib mit ‘nem Mädchen!” Sein Begleiter Priest grinst sich eins und grüsst uns ebenfalls mit “Respect!” Die beiden tragen ihre Dreadlocks nicht aus Marketinggründen, sie leben den Glauben der Rastafari. Das wird im Laufe der Tour immer wieder spürbar.

Die Wachen am National Heroes Park in Kingston werden jeweils zur vollen Stunde abgelöst.
Friedhof mal anders
Zunächst geht’s zum National Heroes Park, wo alle offiziellen Nationalhelden und einige der früheren Premierminister ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Bewacht werden sie von Soldaten der Jamaica Defence Force. Die Wachablösung selbst findet zwar jede Stunde statt, aber irgendwie haben wir es doch geschafft, sie zu verpassen. Sowieso ist es viel interessanter, mit I-kumma und Priest den National Heroes Park selbst zu erkunden.
Die Ruhestätten der hier Begrabenen sind mit Monumenten und Skulpturen gestaltet, die die jeweilige Persönlichkeit darstellen sollen. Es ist spannend, mit unseren beiden Begleitern die jeweiligen Interpretationsmöglichkeiten auszutauschen. So wird der Besuch des National Heroes Park sehr viel persönlicher, als nur von den angebrachten Tafeln abzulesen.
Die schönste Kirche Jamaikas
Im Anschluss an diesen anregenden Spaziergang in der brennenden Mittagssonne Kingstons wollen uns Nicumma und Priest die Cathedral Of The Most Holy Trinity zeigen. Schon von aussen dürfte die Pracht der 1911 errichteten Kathedrale die der römisch-katholischen Kirche, auf deren Fundamenten die Cathedral Of The Most Holy Trinity im byzantinischen Baustil errichtet wurde, bei Weitem überstrahlen. 85 m hoch ist die kupferne Kuppel, die sich über mehr als 3000 Quadratmetern Wandmalereien und Fresken an Decke und Wänden spannt. Wir wissen gar nicht, wohin wir zuerst schauen sollen. Die prachtvolle Orgel ist eine von nur fünf in der ganzen Karibik.
Als die Cathedral Of The Most Holy Trinity im Jahr 2000 zum Kulturerbe Jamaikas erklärt wurde, war sie allerdings in einem erbarmungswürdigen Zustand: Viele der Buntglasfenster fehlten, die Wandgemälde waren einfach überstrichen und dann auch noch Termiten im Gebälk der Decke und Bänke. 2008 wurde sie unter Leitung eines spanischen Meisterrestaurators mit tatkräftiger Hilfe von 32 jungen Gemeindemitgliedern restauriert.
Auf die Frage, ob die Kirchenbänke denn bei der Sonntagsmesse noch voll werden, meint der anwesende Kirchendiener Michael: “Nur noch bei Staatsbegräbnissen.”*
Bevor wir die beeindruckende Schönheit der Cathedral Of The Most Holy Trinity wieder gegen den strahlenden Sonnenschein eintauschen, hinterlassen wir einen Tipp für Michael und einen kleinen Obolus im Opferstock.
Jamaika kreativ – Kunst im Laufe der Geschichte in der National Gallery of Jamaica
Vor dem Mittagessen haben Nicumma aka I-kumma und Priest noch einen kulturellen Stopp eingeplant: In den angenehm temperierten Hallen der National Gallery of Jamaica gibt es noch mehr Kunst zum heruminterpretieren. Gleich zu Anfang nimmt uns eine temporäre Ausstellung gefangen. “The Art of Reggae” – das Thema hat viele Künstler veranlasst, ihre eigene Sichtweise davon in ein Bild zu fassen. Und wir sind geplättet, denn es kann doch kein Zufall sein, dass wir uns gerade erst gestern darüber unterhalten haben, wie es möglich sein könnte, das Thema “Reggae” auszudrücken, ohne dabei das Wort selbst, oder Bob Marley zu involvieren. Hier bekommen wir einige tolle und farbenfrohe Beispiele präsentiert.
Auch der Rest der Gallerie ist interessant für uns und passt zum Thema unserer Tour. Die Malerei – die heutzutage mehr eine Ausdrucksform geworden ist – hatte in techniklosen Zeiten ja auch eine Dokumentationsfunktion für die Nachwelt.
Mittagspause im I-tal-Cookshop – 7 Basiks and more
“Na, wie war’s – seid ihr jetzt hungrig?” – wollen unsere rastabelockten Tourguides wissen. Klar, sind wir. “Normalerweise würden wir mit euch im Life Yard essen, aber da ist heute niemand, der kocht.” Darum fahren uns die beiden in die Deanery Road, wo es im “7 Basiks & More” nicht nur i-tal Lebensmittel, sondern auch eine vegane Imbiss-Auswahl gibt. Wir wählen vegetarische Patties und dazu einen Saft. “Viele Rastafari aus Kingston versorgen sich hier.”, verrät uns Priest, “Alles ist organisch und nach unseren Rastaregeln angebaut und verarbeitet.”
Dann werden seine Augen rund und er stösst uns an “Schaut, da drüben. Das ist Alan Cole. Der hat schon mit Pelé und Bob Marley Fussball gespielt.” – flüstert er ehrfurchtsvoll. Ja, die Welt ist klein in Kingston und nicht jede Berühmtheit gibt sich dort sofort als solche zu erkennen.
Die mit Kürbis, Gemüse und Callaloo gefüllten Patties sind sehr lecker und der Saft ist erfrischend. Die Gäste an den Plastiktischen draussen sind bunt gemischt vom Rasta bis zum Geschäftsmann. I-kumma und Priest sind nicht zu sehen, wir schlendern ein bisschen übers Gelände und werfen einen Blick in den Laden von Cecile. Im “Owanbe Market” wird allerhand Kunstgewerbe, Bücher und CDs angeboten. “Rasta-Culture.” – erklären uns unsere Begleiter, die uns hier aufgestöbert haben. Cecile zeigt mir Ketten und Armbänder. Alles sei aus Naturmaterialien handgemacht, betont Cecile. I-kumma und Priest mahnen zum Aufbruch, es gibt noch soviel zu sehen.
Kingston – das pralle Leben?
Der nächste Stopp nennt sich Rae Town und liegt in Kingstons Südosten. “Ein altes Fischerdorf, war früher einer meiner Lieblingsplätze. Am Wochenende war hier immer was los.” – erklärt I-kumma. Hier verkaufen immer noch die Fischer von Kingston ihren Fang. Angesichts der windschiefen Hütten, des ganzen Mülls und der maroden Wege dazwischen kommen bei uns Zweifel auf, dass dieser Ort überhaupt lebt.
Das Ufer säumen Fischerboote und Plastikflaschen, die irgendwann mal der Regen aus den Gullies angeschwemmt haben mag. Die fischt auch keiner freiwillig aus dem Wasser. Irgendwer hat in ein kniehohes Schlagloch einfach einen rostigen Kühlschrank gestellt, damit sich niemand das Auto ruiniert. Ausser uns ist niemand hier, nicht mal ein Hund streunt an diesem Ort herum. Die Fischer haben um diese Uhrzeit ihren Fang längst an Land und unter die Leute gebracht.
Der Bauch von Jamaika
Anschliessend fahren wir zum Coronation Market, dem “Magen von Jamaika”. Schon rundherum um die riesengrosse Halle, die der eigentliche Markt ist, bieten Händler allerhand Waren feil. Von der Zahnbürste bis zur Zitrone kriegt man hier wohl alles zu kaufen. Samstag geht’s hier voll ab, da sei kein Durchkommen mehr, meint Rasta Priest. Aber es sei dann auch viel Diebsgesindel unterwegs. Wir sind mitten in der Woche und nachmittags da, es ist nicht so viel los und die Stände in der Halle sind nicht mal halb belegt. Trotzdem werden wir nicht weiter behelligt, was an unseren Bodyguards liegen könnte. Man kennt und respektiert sich halt in Downtown.
Ben Dung Plaza- so sagt man in Kingston zum Coronation Market, weil man sich oft tief bücken muss, um die Ware richtig anschauen zu können. Lieber nicht anschauen möchte man die Müllberge am Rande des Marktes, um die sich – ausser ein paar Hunden vielleicht – keiner kümmert. Die Erklärung, warum das so ist, bekommen wir später.
Ein wenig erfreulicher ist die Szenerie an der Waterfront von Kingston. Zwar bröckelt auch hier die Kaimauer heftig, jedoch kann man sich gut vorstellen, was daraus wieder werden könnte. Der Konjunktiv ist Absicht, denn Pläne gibt es für vieles auf Jamaika. Manche sind nur Alibis, die in Schubladen verstauben.
Kingston – das pralle Leben!
Die Strassen in Downtown Kingston sind so voller Leben, es gelingt uns kaum, dies während der Fahrt einzufangen. Aber auch in grossen Teilen von Downtown bietet sich ein ähnliches Bild, wie in Rae Town. Man kann den Eindruck bekommen, die Menschen lassen alles absichtlich verkommen, doch damit tut man den meisten Unrecht.
“Wenn hier jemand Arbeit hat, reicht es oft gerade so zum Überleben. Mit einer Adresse in Downtown leiht dir keine Bank Geld, damit du dein Haus instand halten kannst. Die Müllabfuhr kommt – wenn überhaupt – sehr unregelmässig. Irgendwann bist du so frustriert, dass dir alles egal ist. Das alles ist von “Babylon” gesteuert, damit die Landpreise fallen. Dann wird irgendwann, wenn es billig genug ist, das Land gekauft, die Mieten erhöht und die Bewohner so vertrieben. Später kann der Landlord dann in Ruhe neu bauen oder alles renovieren lassen, um es doppelt so teuer oder für mehr zu vermieten/ verkaufen. “
So klären uns I-kumma und Priest auf, die hier aufgewachsen sind. Kommt euch das bekannt vor? Funktioniert überall, nur dass es bei uns soziale Netze gibt, die einen immer noch auffangen, wenn man sich selbst die niedrigste Miete nicht mehr leisten kann.
Die aus der Abwärtsspirale entstehende Armut ist ein Sumpf, aus dem man sich nur sehr, sehr mühsam befreien kann. Kriminalität ist ein gängiger Ausweg, aber wirklich nicht der beste und nachhaltigste. Projekte wie der “Life Yard” in der Fleet Street, die direkt im Brennpunkt agieren, sind darum besonders wichtig. Manches Kind in Downtown hat daheim keinen Tisch, geschweige einen ruhigen Platz, um Hausaufgaben zu machen. Auch damit hilft der Life Yard. Morgens gibt’s hier Porridge oder eine Suppe zum Frühstück.
Damit wird vor allem Kindern die Möglichkeit gegeben, ihre Talente und Potenziale zu entdecken und dem Sog von Gewalt und Gangs zu entkommen. Nach dem Motto: Wer mit den Händen etwas baut oder einen Spaten hält, der hat keine Hand für eine Waffe frei. Stolz zeigen uns Priest und I-kumma – als Mitinitiatoren des Life-Yard-Projektes der ersten Stunde – ihre Oase hier im Hinterhof von Parade Gardens.
Das bunte Herz von Parade Gardens
Nachdem wir uns mit einem Red Stripe erfrischt und Calvins Stand mit selbstgemachtem Schmuck angeschaut haben, führt uns I-kumma ein bisschen ausserhalb des Yards herum. Genau hier ist nämlich ein weiteres Projekt entstanden, um den Bewohnern der Armenviertel ein wenig Licht zu schenken: Paint Jamaica entstand 2014 auf Initiative der Französin Marianna Farag. Strassenkunst gegen Depression quasi. Bleibt zu hoffen, dass die Besucher aus aller Welt wirklich dazu beitragen, die Lebensverhältnisse in Parade Gardens zu verbessern. Die farbenfrohen, riesengrossen Bilder, die sich über ganze Wände ziehen, stammen von Künstlern aus Jamaika und aller Welt und uns macht es wieder Spass, mit I-kumma über die Aussage und Bedeutung der Kunstwerke zu diskutieren.
Inzwischen ist die Schule aus, die Fleet Street und auch die angrenzenden Strassen bevölkern sich mit Mädels und Jungs verschiedenen Alters in Schuluniformen. An einer Ecke hat sich eine Traube gebildet. Hier wird direkt aus dem warmen Topf eine beliebte Süssigkeit verkauft. “Stru Tambarin.” – klärt uns I-kumma auf. Tamarindenmark wird samt der Kerne mit etwas Zucker zu Mus aufgekocht. Wir wollen probieren, er wickelt das Geschäft für uns ab. Für 20 JMD gibt es zwei Esslöffel von der Paste in einem verknoteten Plastikzipfel. “Hey!” stösst mich eine etwa Achtjährige an “From farin you pay more!” Na schüchtern sind die Kids ja hier nicht gerade, schon unterwegs haben viele gegrüsst und uns gefragt, ob wir Besucher seien. Auf die Frage “How far do you live?” antworte ich, dass wir 10 Stunden übers Meer geflogen sind. So eine grosse Entfernung kann sich die taffe Tanyka gar nicht vorstellen und ist mit einem Mal sprachlos.
Am Ende des Tages bleibt Freude
Wieder zurück in der Ruhe des Life Yards lassen wir unsere Tour ausklingen und schreiben unsere Gedanken ins Gästebuch. Lars hat es noch auf eines der schönen Armbänder von Craftsman Calvin abgesehen. Wir warten auf Priest, der uns dann heimfährt. Wiedermal ist Rush Hour in Kingston. Viele Leute sind unterwegs nach Hause. “Manche lassen sich von Kollegen mitnehmen und irgendwo an einer Bushaltestelle absetzen, damit keiner merkt, dass sie aus dem falschen Teil von Kingston kommen.” Es werde sogar Handel mit Alibiadressen getrieben, denn “Hast du ‘ne Adresse in Downtown, gibt dir keiner einen guten Job!” – informiert uns Priest.
In Uptown schauen einige Leute neugierig durchs Autofenster auf uns. Zwei Weisse im Fond und ein Rasta am Steuer – das verwundert. Die Akzeptanz von Rastas ist in diesem Teil Kingstons und der jamaikanischen Gesellschaft immer noch nicht besonders ausgeprägt. Doch Priest schert sich nicht drum, er macht sogar einen Scherz mit einem der Verkehr regelnden Polizisten.
Delly ist mächtig froh, uns wohlbehalten zurück zu haben. Lars erzählt ihm, was wir heute getrieben haben und entlohnt Delly für die Autowäsche. Da ist wirklich kein Stäubchen mehr dran, Lars legt vor Freude noch eine Schachtel Zigaretten obendrauf. Zum Abendessen improvisiere ich mal wieder. Es werden Bratnudeln (aus Instantnudeln) mit Gemüse und Ei. Anschliessend lassen wir auf der Veranda die vielen Impressionen im lebendigen Teil Kingstons bei Cola-Rum sacken.
Ja, wir geben es zu: Wir sind abermals zu Wiederholungstätern geworden. Wir waren in Downtown Kingston. Dort, wo einem kein Reiseführer empfiehlt, hinzugehen.
Und wir haben es – wie letztes Mal – nicht bereut. Eine Tour mit dem Life-Yard-Team solltet ihr auch unbedingt machen, wenn ihr “tiefer in Kingstons Seele eintauchen” wollt. Kontakt gibt’s per Mail: lifeyard360@gmail.com oder fragt einfach über Instagram an.
Good Night, Kingston!
Lust bekommen, auch auf Entdeckungstour zu gehen? Auf Social Media gibts noch mehr Inspirationen:
* am 29.06.2019 wurde hier der ehemalige Premierminister Edward Seaga beigesetzt.
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I’m glad you had a lovely time in Kingston. I didn’t even know the Wailers museum was fully open! I must check it out some time.
I wouldn’t say “fully opened”, but on request you have the chance for a visit. Its worth to have a “round” impression of the three Wailers.